Ein tiefernst gemeinter Beitrag zur Diskussion des Berufsbildes im höheren BibliotheksdienstÜberhaupt, die deutsche Sprache! Vor Konrad Duden konnte man in ihr schreiben, wie es einem in die Feder floß. Rat, Rad, Rath oder Radt: wie man's buchstabierte, war gleich. Wer's las, wußte schon, was gemeint war. Obgleich dieserart praktische Intelligenz dank Konrad Dudens repressiver Normativität in unsern Zeiten nahezu ausgestorben ist, setze ich sie bei meinen LeserInnen voraus und schreibe im folgenden das zur Debatte stehende Wort "Rat", wie es mich gerade gelüstet. Doch nun endlich zur berufsbildlichen Sache! Ein Rat, der wie es sich gebührt, seine Aufgaben getreulich erfüllt, dabei eifrig, voller Initiative, gleichzeitig voller Demut gegenüber seinen Vorgesetzten, hilfreich und freundlich gegen Rat-Suchende, niemals krank, sondern stets - auch nachts und im Urlaub - auf Posten ist, ist ein guter Rat . Und da er für mindestens zwei arbeitet, ist er - im Gegensatz zu einer unter Nichtbeamten verbreiteten sozialneiderischen Meinung - alles andere als teuer. Man kann demnach dem Volksmund, der das in der Überschrift anklingende Sprichwort geprägt hat, den Vorwurf eines Irrtums nicht ersparen. Daß es sich bei allen Bibliotheksräten - zumindest in unserer Bibliothek - um gute Räte der beschriebenen Art handelt, wird hier stillschweigend vorausgesetzt und wohl nur von Böswilligen bestritten werden können. Doch nun zu den Differenzierungen in diesem freundlichen Bilde des Rats. So treu ergeben der Rat seiner Aufgabe auch sein mag: er entbehrt doch niemals gewisser persönlicher Merkmale, die - und deswegen gehört deren Thematisierung entschieden zur Diskussion des Berufsbildes! - häufig nicht ohne Einfluß auf seine berufliche Tätigkeit bleiben. Für die Verfügbarkeit des Rats ist es von entscheidender Bedeutung, ob er seiner eng ausgelegten Residenzpflicht Genüge tut und folglich seinen Wohnsitz am Dienstort hat oder ob er sich eines Fahrzeugs bedienen muß, um seine Dienststelle zu erreichen. Im letztgenannten Fall ist er ein Fahrrad . Bedient er sich eines motorisierten Fahrzeugs, ist er ein Motorrad oder - je nachdem - auch ein Wagenrad . Nicht ohne Bedeutung für die dienstlichen Geschäfte ist die Akzeptanz, die der Rat bei KollegInnen und Rat-Suchenden genießt. Ist diese bei weiblichen Kontaktpersonen signifikant höher, so kann er füglich als ein Damenrad bezeichnet werden, im umgekehrten Fall als Herrenrad . Nebenbei sei an dieser Stelle - PuritanerInnen mögen die folgenden Zeilen überlesen - bemerkt, daß ein Rat mit ausgeprägter sexueller Appetenz ein Triebrad ist. Ein mit besonders hohem Wuchs gesegneter Rat ist ein Riesenrad . In der Bibliothek kann ein solcher von besonderem Nutzen sein, erreicht er doch die obersten Böden hoher Regale mühelos und ohne die Gefahr, des typischen Bibliothekarstodes (Sturz von einer Leiter) zu sterben. Ein auffallend kleinwüchsiger Rat ist dagegen nur ein Rädchen im Getriebe der Bibliothek. Ist ein Rat genötigt, zur Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten viel im Hause unterwegs zu sein oder muß er sich oft sehr eilig an Orte außerhalb seines Zimmers begeben (beispielsweise, um dort Krisenmanagement zu betreiben), so kann man ihn als Laufrad bezeichnen. Legt er - bei welcher Tätigkeit auch immer - besondere Dynamik an den Tag, so ist er ein Schwungrad . Ist besagte Dynamik jedoch eher Selbstzweck, als daß sie sich auf konkrete und nützliche Ziele richtet, so ist jener Dynamiker ein Windrad . Wird ein Rat häufig dazu eingesetzt, Arbeiten zu erledigen, die andere - aus was für Gründen auch immer - nicht haben erledigen können, so ist er ein Reserverad . Ein Rat mit ausgeprägter Neigung zu ausgefallenen oder abseitigen Ideen - auch dies soll es geben - ist ein Spinnrad . Solche verstauben meist in irgendeiner Ecke, falls sie nicht als Museumsstücke (beispielsweise als Modelle eines nicht mehr zeitgemäßen Berufsbildes) zu neuen Ehren gelangen. Hat ein Rat geraume Zeit seine beruflichen Pflichten treu erfüllt, keine silbernen Löffel (oder Inkunabeln) gestohlen, nicht gegen die Obrigkeit aufbegehrt und auch sonst keine allzu großen Dummheiten begangen, wird er in der Regel zum Oberrat befördert, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen sei, daß es eine Regelbeförderung nicht mehr gibt. Wer dagegen - und dies ist nun durchaus nicht mehr die Regel - auf der Karriereleiter noch höher klimmt, wird zum Unrat . (1)
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Hilger Weisweiler |